Loslassen kann heißen …

… sich die Doppelseite eines Tagebuchs als geschützten Raum nehmen und frei herausschreiben, was sich im Kopf zusammengebraut hat.

Sich sozusagen selbst auf dem Papier ausleeren, um Gedanken und Emotionen schwarz auf weiß vor sich zu haben. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Geschichten schreiben, um sie sich vom Hals zu schaffen“.

Dabei spielt es im privaten Notizbuch keine Rolle, ob deine Sätze vom Duden genehmigt würden, ob du zusammenhanglose Fragmente deiner Wut produzierst oder ob du nach jedem zweiten Wort ein Komma setzt, weil du so oft Luft holen musst.

Auch die Chronologie spielt keine Rolle. Frei nach Parmenides: “fang einfach irgendwo an“.

Loslassen kann aber auch heißen …

… in einem anderem Modus aufzuschreiben.

Zum Beispiel weiß ich manchmal schon vor dem Schreiben, dass ich den Inhalt nicht behalten möchte. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ich mir nach einem Streit über den Anlass und die Gründe einer Auseinandersetzung klar werden möchte. Wenn es dir auch so geht, dann kann ich empfehlen, den Schreibraum zu verändern. Anstatt in das Tagebuch zu schreiben, kannst du ein loses Blatt mit deinen Gedanken vollsudeln und dieses je nach Hang zur Theatralik anschließend vernichten (entflammen, zerreißen, in den Aktenvernichter geben).

So nutzt du zwar den guten Effekt des frei herausschreibens, doch du bewahrst dich davor etwas wieder zulesen, das dir nach dem Abladen der Emotionen als zu belanglos oder bei näherem Betrachten auch einfach haltlos erscheint. 

Manche meiner Aufschriebe, in denen ich etwas loslasse,  habe ich nachträglich mit schwarzer Tusche übermalt, um bewusst von einem Thema loszulassen. 

Andere Texte existieren aus dem selben Grund nur als digitales Dokument mit skurrilem Namen auf meinem Computer, die wahrscheinlich irgendwann einmal im Datenmatsch untergehen, weil sie unbeachtet vor sich hinrotten.

Loslassen kann jedoch auch heißen…

… nichts mehr zu einem bestimmten Thema aufzuschreiben.

Was erspare ich mir künftig? Was lasse ich nicht mehr auf mich los?

Angenommen, Du hast dich mit einem Erlebnis, das dich sehr bewegt, ausreichend beschäftigt und nun soll deine Energie nicht mehr weiter dort hineingehen.

Beim Wiederkehren der Emotionen und Gedanken, zu sagen: „Nicht jetzt. Dieses Thema erhält in diesem Moment keinen Raum, ich konzentriere mich nun auf Dinge, die jetzt wichtig für mich sind.“

Wenn mich in seltenen Fällen eine Frage oder ein Thema sehr beeinträchtigt und doch nicht loslässt, arbeite ich mit einer Grübelkasse – so nenne ich es zumindest. Es benötigt nicht viel Ein simples Glas mit Deckel (in einem Schrank), daneben Notizzettel und Stift. Wenn ich bemerke, dass mich besagtes Thema, von dem ich mich lösen möchte, wieder zu sehr beschäftigt, dann notiere ich den Gedanken auf Papier, falte den Zettel mit dem Text nach innen und werfe ihn in das Glas. Die Handlung: das Glas zuschrauben, löst inzwischen bei mir schon Entspannung aus: endlich weg damit. 

Es benötigt manchmal einige Zeit, bis man sich wirklich gelöst hat. Das Ritual hilft mir, anderen Gedanken wieder mehr Raum zu geben.