Das Wesen des Tagebuchs ist, dass es dort nicht sehr planvoll zugehen muss und dass keine stringente Ordnung angestrebt wird.

„Mein Tagebuch soll sein wie eine Reisetasche, in die ich ungeprüft allen Krimskrams hineinwerfe. Wenn ich später nachsehe, ist das Durcheinander wie von Geisterhand geordnet, gesintert zu einem Ganzen, so fest und unnahbar wie ein Kunstwerk – aber so transparent, daß das Licht des Lebens durchscheint.“ Virginia Woolf 

Das klingt berauschend schön und zugleich bekommt man Lust ein paar Zeilen zu schreiben, wenn man ein Schwäche für gut gefüllte Tagebücher hat. Aber seien wir ehrlich: um „das Licht des Lebens“ in einem Tagebuch „durchscheinen“ zu lassen, benötigt es mehr als die Aneinanderreihung von Krimskrams, wenn man beim Schreiben nicht an die literarische Wortgewalt einer Virginia Woolf heranreicht. 

Als ich im Rahmen eines künstlerischen Studienprojektes namens Diarium alle meine Tage- und Skizzenbücher durchging, gab es neben all dem Amüsanten und Lesenswerten auch eine rießige Menge Ballast und verschriftlichte Grübelei. Seite um Seite, Tag um Tag. Stellenweise ein triefender, unendlich erscheinender Monolog aus emotionalem Mist. Das Lesen war zäh und zeitenweise ziemlich langweilig, aber auch sehr bedrückend, obwohl es genügend Ereignisse gab, die schön und erzählenswert gewesen wären. Offen gestanden: das hatte ich nicht erwartet und ich war enttäuscht. (Hierbei erinnere ich mich an eine Begebenheit, die meine Professorin Anke Feuchtenberger einmal im Seminar erzählte: sie hatte von einer Tante einen Stapel Tagebücher geerbt und hoffte beim Lesen spannende Geschichten aus der Jugend zu finden. Doch das Einzige was dort täglich penibel festgehalten wurde, war das Wetter.)

Als ich mir meine Aufschriebe und ihre Eigenart nochmals genauer anschaute, stellte ich fest, dass sie sich veränderten je älter ich wurde, was natürlich daran lag, dass ich mehr Übung beim Schreiben bekam. Zum andern beeinflusste mein Studium in Kommunikationsdesign und Illustration/Comic die Art meiner Einträge. Ich begann für mich herauszufiltern, welche Arten des Schreibens ich bevorzugen würde und Listen darüber zusammenzutragen:

Mir wurde beim Aufzeichnen bewusst, dass der jeweilige Anlass oder Handlungsmotor, der Moment also in dem ich das Tagebuch zur Hand nehme, um zu schreiben, am meisten darüber entscheidet, auf welche Weise ich schreiben werde. Also darüber entscheidet, was ich festhalte und was bleibt, aber auch wofür ich mir Zeit nehme. Und obwohl ich das Tagebuch als Ventil für einen emotionalen Kopf auch heute noch – in abgewandelter Form – verwende, so gab es für mich während des Projektes im Jahr 2014 immer häufiger den Wunsch, das worüber ich schriftlich nachdachte zu verändern und meine Methoden des Schreibens weiterzuentwickeln. Nicht so sehr, um später Interessanteres zu lesen zu haben, sondern vor allem, um im aktuellen Tagesgeschehen passendere Werkzeuge an der Hand zu haben, die mir wertvollere Informationen liefern und die mir helfen, meine Zeit besser zu gestalten.

Die Anlässe, ein Tagebuch zur Hand zu nehmen, lassen sich für mich in vier Kategorien einteilen, die mir helfen zu verstehen, was mir beim Schreiben wichtig ist:

1.) Loslassen

2.) Bewahren

3.) Beobachten

4.) Neu-denken