Betrachten wir das Buch einmal als Objekt. Häufig richtet sich die Aufmerksamkeit zuerst auf den Buchrücken, der aus dem Regal heraus lugt. Zieht man hier den Vergleich mit einem Gebäude, so erscheint er wie das Klingelschild, welches schnell vermittelt, wen oder was es im Inneren zu finden gibt. Schon Breite und Höhe dieses Schildes geben Aufschluss über seinen Umfang. Anhand der Gestaltung veranschaulicht vor allem die Vorderansicht, ob man sich vor dem Kölner Dom, einem Kindergarten oder einer Kneipe befindet.

Zu den Außenmauern des analogen Buches gehören auch die Buchdeckel, sowie der Buchschnitt, dessen Flächen lediglich im geschlossenen Zu-stand vollständig in Erscheinung treten. Teil des Mauerwerks sind die Innenwände, also die einzelnen Blätter des Buches, die das Gebäude in separate Räume unterteilt und üblicherweise gleich groß sind, also dasselbe Doppelseitenformat besitzen. Es sind eine Vielzahl fest verbundener Räume – auch genannt Kodex (1), die sich hier aneinanderreihen. 

Während sich die Räumlichkeit eines Zimmers innerhalb von sechs Flächen abspielt (Fußboden, Decke, in der Regel vier Wände), besitzt ein aufgeschlagenes Buch nur zwei Seiten (verso und recto zweier Blätter), die sich nach dem vollständigen Öffnen zu einer einzigen Fläche verbinden. Sie sind jeweils gefüllt mit Ausstattung und Inventar (Buchstaben,Bilder und Beigaben z.B. Notizzettel, Lesezeichen, Postkarten, etc), welche – beim selbstgefüllten Notizbuch – meist keiner zuvor organisierten Anordnung unterliegen.

Lediglich die Zusammenkunst aller Elemente auf einer Doppelseite, bringt die einzelnen Einträge in Beziehung zueinander. Beim Tagebuch verkettet das Datum die Aufschriebe in chronologischer Reihung. Die Bindung unterbindet ein Vertauschen der einzelnen Sequenzen.

Der Akt des Blätterns ist das mechanische Fortbewegungsmittel innerhalb des Gebäudes, es öffnet Türen und Fenster, man gelangt Schritt für Schritt, Seite für Seite in neue Räume. Natürlich unterscheidet sich der Rundgang innerhalb des Tagebuchs stark von der Handhabe eines gedruckten Buches, eines Romans beispielsweise.

Man kann ein solches Buch durch die Eingangstür betreten, wo man freundlich von einem Vorwort empfangen wird. Schlägt man sich durch den Kellereingang, kommt man an all dem vorbei, was im Hauptgebäude nicht benötigt wird (z.B. Register, Impressum und Literaturangaben). Natürlich gibt es auch die Möglichkeit durch das Fenster einzusteigen, also mitten in unbekannte Seiten zu platzen, was bei einem bewohnten Haus unangenehme Folgen haben könnte, bei Büchern jedoch üblich ist, um sich einen groben Überblick zu verschaffen. Bei persönlichen Notizbüchern ist der Einstieg durch das Fenster – also das Hereinplatzen – der gewöhnliche Weg, um das Schreiben fortzusetzen.

Den Akt des Hereinplatzens nennt man beim Buch nicht weniger brutal Aufschlagen. Diese notwendige Handgreiflichkeit erklärt sich etymologisch folgendermaßen: »Im Mittelalter wurden die Holzdeckel von Büchern mit einem breiten Metallhaken zusammengehalten. Damit konnten die wertvollen Seiten geschützt, aber auch gepresst werden. Wenn man auf das Buch schlug, sprang der Metallhaken meist von selbst auf.« (2)

Ob man bei einem digitalen Buch noch vom Aufschlagen sprechen kann, steht auf einem anderen Blatt.

  • Fußnoten

    (1) «Codex [lat. eigtl. ›abgeschlagener Baum‹, ›gespaltenes Holz‹ (als Material für Schreibtafeln), ›Buch‹], […] Buchwesen: Bezeichnung für die aus Lagen bestehende und mit einem Deckel versehene Handschrift der Antike und des MA., die die Buchrolle im 2. bis 4. Jh. ablöste. […] Wenn mehrere solcher Lagen zusammengefügt sind, spricht man i. e. S. von einem C. « F.A. Brockhaus GmbH: Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden — 19., Völlig neubearbeitete Auflage. Band 4 Bro-Cos. Mannheim: Brockhaus 1987, S. 620.

    (2) Deutsche Welle: Sprachbar: Zwischen Buchdeckeln, https://www.dw.com/de/zwischen-buchdeckeln/a-16248228 (aufgerufen am 22.10.2021)