Die geöffnete Doppelseite eines Buches ist der Raum, in dem sich alle Elemente des Inhalts versammeln und zu einer Gesamtheit fügen. Die verschiedenen Texte, Zeichen und Bilder werden durch ihre räumliche Nähe und die Anordnung auf der Seite zu einer sinnerzeugenden Einheit.
Der Typograf Adrian Frutiger schreibt in seinem Vorwort zu Emil Ruders ikonischem Werk Typographie:
»Emil Ruder hat den Raum nicht nur als tragenden Papieruntergrund leblos zur willkürlichen Beschriftung oder Schmückung hingenommen. In seinen Händen rückt der passive Hintergrund zum wesentlichen Vordergrund. So wird jede typografische Arbeit zum Bild, in welchem Schwarz und Weiß sich gegeneinander ausspielen; ja oft erscheint eine Wirkung der Tiefe, das Auge wird durch Linien oder Reihungen in eine dritte Dimension geleitet.«
Die unscheinbarsten Anteile eines Buches, also der Weißraum der Doppelseite, aber auch das Blättern als Rythmusinstrument und Fortbewegungsmittel, untermalen das materialisierte und somit greifbar gewordene, permanente Vergehen der Zeit.
Die Haptik der gealterten Seiten bestärkt den Eindruck von sichtbar gewordener Lebenszeit.
Die gereifte Handschrift ist ihre Signatur
Monate und Jahre verdünnen sich zu ein paar Zentimetern. Aber immerhin.
Emil Ruder schreibt über Weißraum: »Nach der Philosophie des fernen Ostens bewirkt erst der leere Raum das Wesen der gestalteten Form. Ohne inneren Hohlraum ist ein Krug nur ein Tonklumpen, und erst der leere Raum im Innern macht ihn zum Gefäß, so wie es im elften Spruch des Lao-Tse zu lesen ist: ›Dreißig Speichen treffen die Nabe, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Rades. Aus Ton entstehen Töpfe, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Topfes. Mauern mit Fenstern und Türen bilden das Haus, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Hauses.
Grundsätzlich: Das Stoffliche birgt Nutzbarkeit, das Unstoffliche wirkt Wesenheit.‹ «
Ein leeres Blatt ist nur eines von vielen, doch es birgt die Möglichkeit, ein Teil von dir zu werden.
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